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Warum Psychologische Sicherheit Führung neu definiert

Stellen Sie sich vor, Sie sind Teil eines Teams, in dem jede:r offen spricht, innovative Ideen einbringt, Fehler angstfrei zugibt und Kritik als Entwicklungschance erlebt. In einer von Wandel, Unsicherheit und Komplexität geprägten VUCA-Welt wird psychologische Sicherheit zur essenziellen Führungsaufgabe und zur Superkraft erfolgreicher Teams (Edmondson, 1999; Goller & Laufer, 2018; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

„Psychologische Sicherheit ist das Vertrauen darauf, dass innerhalb eines Teams Risiken eingegangen werden können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Zurückweisung, Bloßstellung oder Bestrafung haben zu müssen“ (Edmondson, 1999, S. 354).

Psychologische Sicherheit bildet das Fundament für Offenheit, Fehlerfreundlichkeit und Respekt. Sie ist nachweislich der stärkste Hebel für Innovation, High Performance und nachhaltigen Unternehmenserfolg (Edmondson & Lei, 2014).

Psychologische Sicherheit: Fundament und Wirkfaktor moderner Führung

Was macht psychologische Sicherheit so bedeutsam?

  • Forschung und Praxis: Studien wie Googles „Project Aristotle“ belegen, dass nicht individuelle Brillanz, sondern das Klima im Team erklärt, weshalb Teams innovativ und leistungsstark sind (Duhigg, 2016; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025; Goller & Laufer, 2018).
  • Kerneffekte:
    • Förderung von Lernbereitschaft, kontinuierlicher Verbesserung und Mitarbeiterengagement (Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).
    • Ermöglichung konstruktiver Konflikte und echter Zusammenarbeit, auch unter Unsicherheit (Edmondson, 2019; Goller & Laufer, 2018).
    • Verbesserte Innovationskraft und niedrigere Time-to-Market durch angstfreie Kommunikation (Baer & Frese, 2003).
    • Grundlage für Transformation, Resilienz und nachhaltige Teamentwicklung (Goller & Laufer, 2018).

Aus der Praxis
Ein Team in einem internationalen Beratungsunternehmen wandte nach einem Projektfehlschlag konsequent eine offene Fehlerkultur an. Als ein ähnlicher Fehler drohte, sprach ein Juniormitarbeiter das Problem frühzeitig offen an – was zur rechtzeitigen Korrektur und zum Projekterfolg führte. Durch die gelebte Sicherheit wurde Engagement in der Organisation spürbar (Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

Die „Aristotle“-Studie von Google

Das Projekt „Project Aristotle“ untersuchte 180 Teams und identifizierte fünf Erfolgsfaktoren für High Performance – der wichtigste: psychologische Sicherheit (Duhigg, 2016):

Erfolgsfaktor

Bedeutung

Psychologische Sicherheit

Offene Kommunikation & Fehlerfreundlichkeit

Verlässlichkeit

Zuverlässige Leistungszusagen

Struktur & Klarheit

Klare Rollen und Ziele

Sinnhaftigkeit

Gemeinsames Zielverständnis

Wirkung

Wahrnehmung eines sinnvollen Beitrags

Eines der Teams bei Google, das zu Beginn weder als besonders kreativ noch als hochperformant galt, wurde dank Wertschätzung und offener Kommunikation innerhalb weniger Monate zum Innovationstreiber seiner Abteilung. Die Mitglieder berichteten übereinstimmend, dass sie durch gegenseitige Unterstützung erstmals den Mut fanden, auch ungewöhnliche Ideen vorzuschlagen – mit messbarem Erfolg (Duhigg, 2016).

Leadership beginnt mit Selbstführung

Selbstreflexion als Hebel: Führungskräfte geben das Klima vor

Wirksame Führungskräfte prägen das Teamklima maßgeblich durch ihr eigenes Vorbild und ihre Haltung (Edmondson, 2019; Goller & Laufer, 2018). Reflexionsfragen für die Praxis:

  • Zeigen Sie als Führungskraft offen Zweifel und Fehler?
  • Fördern Sie Austausch auf Augenhöhe?
  • Gehen Sie transparent und lernbereit mit Feedback um?

Der Wandel der eigenen Haltung beeinflusst, wie offen und sicher Teams agieren können – innere Veränderung ist der Hebel für äußere Entwicklung (Langer, 2023; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

Aus der Praxis
In einem Produktionsunternehmen berichtete eine Führungskraft erstmals im Teammeeting offen von einer Fehlentscheidung. Die positive Resonanz der Mitarbeitenden darauf war so groß, dass kurze Zeit später weitere Teammitglieder eigene Unsicherheiten einbrachten. Das Team entwickelte daraus gemeinsam einen neuen Verbesserungsprozess, der die Fehlerquote nachweislich reduzierte.

Leadership Coaching Challenge (LCC): Veränderung im Kreis

Lernen in wertschätzender Peer-Gruppe

LCC-Zirkel zeigen, wie Peer-Coaching in kleinen, hierarchieübergreifenden Kreisen psychologische Sicherheit und nachhaltige Veränderung fördert (Langer, 2023).

Wirkmechanismen der LCC-Zirkel:

  • Vertraulicher Austausch („Vegas-Regel“: Was im Circle passiert, bleibt im Circle)
  • Iterative Entwicklung von Selbst-Bewusstheit, Selbstverantwortung, Selbstvertrauen
  • Diversität der Perspektiven für nachhaltigen Mindset-Change

Aus der Praxis
Ein Führungscircle in einem Familienunternehmen öffnete erstmals das Gespräch über schwierige Change-Prozesse. Im Peer-Coaching unterstützten sich drei Bereichsleitungen gegenseitig darin, alte Kontrollroutinen abzulegen. Sie berichteten: Nach wenigen Sessions wagten sie im eigenen Team mehr Offenheit – binnen eines Quartals stiegen Beteiligung und Innovationsvorschläge messbar an. Andere Teilnehmer:innen berichten von mehr Eigenverantwortung, Mut zu echter Kollaboration und gesteigerter Wirksamkeit auf persönlicher wie organisationaler Ebene (Langer, 2023).

Werkzeuge und Handlungsempfehlungen zur Förderung psychologischer Sicherheit

Der folgende Abschnitt bietet praxisorientierte Strategien für Führungskräfte, Teams und Organisationen, um psychologische Sicherheit systematisch zu stärken und im Alltag zu verankern (Goller & Laufer, 2018; Volbracht, 2024; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

Vorbildfunktion als Fundament

Führungskräfte beeinflussen psychologische Sicherheit am stärksten durch ihr eigenes Verhalten. Wer eigene Fehler offen kommuniziert, Unsicherheit thematisiert und Wertschätzung vorlebt, schafft Nachahmung und Vertrauen (Edmondson, 2019; Goller & Laufer, 2018; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

  • Eigene Fehler in Meetings thematisieren, um Lernprozesse zu enttabuisieren.
  • Unbequeme Meinungen aktiv einfordern.
  • Lernorientierte Rituale wie jährliche Rückblicke zu „Missgeschicken, die uns weitergebracht haben“ etablieren.

Aus der Praxis
Die Leitung einer HR-Abteilung führte einen monatlichen „Fehler-Review“ ein, in dem sie selbst mit einer kleinen Anekdote über ein eigenes Scheitern startete. Die Folge: Innerhalb weniger Monate sank die Angst im Team, neue Initiativen zu verantworten — die Innovationsrate der HR-Projekte stieg signifikant.

Peer-Learning und Circle-Methoden

Zirkelformate und Peer-Coaching (z. B. Leadership Coaching Challenge) eröffnen Räume für gegenseitige Reflexion und Entwicklung. In den Circles arbeiten Kolleg:innen unabhängig von Hierarchie gemeinsam an persönlicher und organisationaler Entwicklung (Langer, 2023; Maier, 2025).

  • Vertraulichkeit (Vegas-Regel)
  • Iterative Entwicklung von Selbstkompetenzen
  • Diversität und gegenseitige Unterstützung
  • Rollenklarheit: Moderator:in, Sponsor:in, ggf. Coach

Aus der Praxis
In einem LCC-Circle berichtete eine Führungskraft aus der Produktion, wie sehr sie davon profitierte, in geschütztem Rahmen über ihre Unsicherheiten sprechen zu können. Nach einigen Wochen Mut fasste sie den Entschluss, diesen offenen Gesprächsstil in ihr Team zu übertragen – mit dem Ergebnis, dass die Teammitglieder deutlich häufiger konstruktive Rückmeldungen gaben.

Fehler- und Feedbackkultur als Lernmotor

Eine aktive Fehlerkultur bedeutet, Fehler als Lernchance zu bearbeiten – nicht zu sanktionieren (Edmondson, 2019; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

  • „Fehler des Monats“-Formate und wöchentliche Feedbackrunden
  • Feedback-Duschen: Zwei Minuten positives Feedback ohne Unterbrechung
  • Fehler werden analysiert, nicht individualisiert sanktioniert (Baer & Frese, 2003; Goller & Laufer, 2018)

Aus der Praxis
Ein Industriebetrieb führte die „Fehler des Monats“-Runde ein, in der Mitarbeitende freiwillig über einen selbst verursachten Fehler und ihre Learnings sprachen. Einmal gewann sogar ein Azubi mit seinem Beitrag — die Folge: deutlich mehr Kolleg:innen trauten sich, experimentelle Lösungsansätze zu wagen.

Kommunikation, Diversität und Inklusion gezielt gestalten

Offene und transparente Informationspolitik, gezielte Förderung von Vielfalt und inklusive Kommunikationsstandards sind entscheidend (Volbracht, 2024; Goller & Laufer, 2018).

  • Teams vielfältig zusammenstellen
  • Vertrauenslandkartierungen im Team nutzen, um Bindungen und Integrationspotenziale sichtbar zu machen
  • Aktives Zuhören und offene Fragen als Kommunikationsstandard einführen

Praxisbeispiel:
In einem international besetzten Projektteam wurden zu Beginn der Zusammenarbeit „Vertrauenslandkarten“ erstellt. Dabei zeigte sich, dass einige Mitarbeitende sich isoliert fühlten. Die Projektleitung initiierte daraufhin gezielte Tandem-Partnerschaften – die Beteiligungsrate in Meetings und die Zufriedenheit verbesserten sich messbar binnen weniger Wochen.

Reflexion und kontinuierliche Selbstentwicklung

Nachhaltige Entwicklung braucht kontinuierliche Selbstreflexion und gemeinsames Lernen (Langer, 2023; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025; Maier, 2025).

  • Regelmäßige Retrospektiven: Was haben wir als Team gelernt? Wie sicher fühlen wir uns, offen zu sprechen?
  • Persönliche Entwicklungspläne als Teil regelmäßiger Gespräche und Jahresgespräche nutzen

Aus der Praxis
Ein agiles Team führte nach jedem Sprint Retrospektiven mit besonderem Fokus auf psychologische Sicherheit durch. Teammitglieder fühlten sich zunehmend wohler, konstruktive Kritik zu äußern und eigene Ideen einzubringen. Die Effekte zeigten sich in gesteigerter Effizienz und Innovationskraft.

Herausforderungen und Grenzen psychologischer Sicherheit

Psychologische Sicherheit ist kein Selbstläufer. Strukturelle Hierarchien, kulturelle Unterschiede, hoher Leistungsdruck und technologische Überwachung sind Herausforderungen (Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025; Volbracht, 2024).

  • Hierarchie erschwert offenen Austausch, daher sind flache Hierarchien, Austauschformate und Zugang zu Führung wichtig (Nembhard & Edmondson, 2006).
  • Leistung vs. Sicherheit: Nur die Kombination aus beiden ermöglicht Innovation (Edmondson, 2008).
  • Interkulturelle Kommunikation erfordert Sensibilisierung und Trainings (House et al., 2004).
  • Technologische Tools (z. B. KI) dürfen kein Klima des Misstrauens schaffen – Transparenz und Datenschutz sind essenziell (Zuboff, 2015; Meyer-Tischler & Faltermeier, 2025).

Aus der Praxis
Ein global agierendes Tech-Unternehmen stellte nach einem massiven Cyber-Vorfall fest, dass viele Mitarbeitende aus Angst vor Schuldzuweisungen kritische Hinweise verschwiegen hatten. Nach Einführung anonymer Feedbackformate und diversitätssensibler Kommunikation verbesserte sich die Fehler- und Feedbackkultur erheblich.

Fazit

Psychologische Sicherheit ist kein „Nice-to-have“, sondern der Schlüssel für nachhaltige Führung, Innovation und High Performance (Edmondson, 2019; Maier, 2025). Veränderung im Außen entsteht durch innere Entwicklung. Führungskräfte, die psychologische Sicherheit in ihrem eigenen Verhalten und in Teams systematisch verankern, sind wesentliche Hebel für Transformation (Langer, 2023; Goller & Laufer, 2018).

Bereit für den nächsten Schritt?
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Quellen

Baer, M., & Frese, M. (2003). Innovation is not enough: Climates for initiative and psychological safety, process innovations, and firm performance. Journal of Organizational Behavior, 24, 45–68.
Duhigg, C. (2016). What Google learned from its quest to build the perfect team. The New York Times Magazine.
Edmondson, A. C. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 354–381.
Edmondson, A. C. (2008). The competitive imperative of learning. Harvard Business Review.
Edmondson, A. C. (2019). The fearless organization: Creating psychological safety in the workplace for learning, innovation, and growth. Wiley.
Edmondson, A. C., & Lei, Z. (2014). Psychological safety: The history, renaissance, and future of an interpersonal construct. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 1, 23–43.
Goller, I., & Laufer, T. (2018). Psychologische Sicherheit in Unternehmen: Wie Hochleistungsteams wirklich funktionieren. Springer Gabler.
House, R. J., Hanges, P. J., Javidan, M., Dorfman, P. W., & Gupta, V. (2004). Culture, leadership, and organizations: The GLOBE study of 62 societies. Sage.
Langer, V. (2023). Selbstentwicklung im Kreis: Veränderungsarbeit durch Peer Coaching. managerSeminare, 300, 78–84.
Maier, J. (2025). Psychologische Sicherheit durchgespielt. Dramafreie Zusammenarbeit in psychologisch sicheren Kreisen schaffen. BusinessVillage.
Meyer-Tischler, M., & Faltermeier, M. (2025). Psychologische Sicherheit: Impulse zur Integration in die Unternehmenskultur. Springer Essentials.
Nembhard, I. M., & Edmondson, A. C. (2006). Making it safe: The effects of leader inclusiveness and professional status on psychological safety and improvement efforts in health care teams. Journal of Organizational Behavior, 27(7), 941–966.
Volbracht, K. (2024). Psychologische Sicherheit: Die Superkraft erfolgreicher Teams. Haufe Group.
Zuboff, S. (2015). Big other: Surveillance capitalism and the prospects of an information civilization. Journal of Information Technology, 30(1), 75–89.

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